Christiane Messerschmidt, Susan Sieg, Vike Pedersen & Manfred Walter: Es gibt viel zu entdecken in der aktuellen Frühjahrsausstellung der Galerie Böhner in der Mallau

In der Kunstgeschichte lassen sich Stilrichtungen oft sehr schön nach dem Gegensatzpaar Natur – Kultur gliedern. Der rote Faden zwischen diesen beiden Begriffen ist rasch gezogen – hier der Künstler, der die Nähe zur Natur sucht, der Naturalist gewissermaßen, dort derjenige, der sich ganz in sich selbst zurückzieht und seinen Stil aus sich selbst heraus entwickelt, somit in seinem Schaffen als Subjekt dem Objekt gegenüber in den Vordergrund tritt. Beide Positionen haben selbstredend ihre Berechtigung und sind bei näherem Hinsehen sogar ohne einander völlig vorstellbar.

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Würden wir das Werk Manfred Walters, dem diese Einzelausstellung hier gewidmet ist, sehen, so würden wir bei einem Teil seiner Werke eindeutig den Naturalisten erkennen. Selten sieht man Steine auf solch naturnahe Art gemalt. In ihrem naturhaften Realismus wirken sie so perfekt, dass es scheint, als fielen sie im nächsten Augenblick aus dem Bild heraus. Auch dort, wo Walter nur die Strukturen des Steines wiedergibt, spürt man gewissermaßen die Oberfläche geradezu haptisch.

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Dies trifft aber, wie Sie beim Gang durch die Ausstellung sehen werden, nur für einen Teil des Werkes zu, ein anderer Teil wirkt dagegen ganz anders, wirkt spontan, informell, sinnlich und passt, in seiner ganzen Anlage eher in den subjektiven Bereich, denn wenn man versucht, hier auf ein Objekt zu stoßen, verliert man sich leicht in der Welt der eigenen Phantasie.

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„Als ich mir die Möglichkeit erschloss, mit den Händen zu malen“, so sagte der Künstler in einem Vorgespräch, habe ich das wie eine Befreiung empfunden. Damit bezog er sich auf seine künstlerische Herkunft, deren Ursprünge, was bei einem Wiener Maler nicht ganz fern liegt, in der Malerei des Phantastischen Realismus zu suchen sind. Zu dieser Richtung zählen Persönlichkeiten wie Rudolf Hausner, Arik Brauer und Ernst Fuchs.

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Ein Merkmal dieser Malerei ist die Exaktheit, die nahezu altmeisterliche Akribie bei der Darstellung winziger Details, die den Künstler in Anspruch nimmt. Der phantastische Realismus ist eine Kunstrichtung, die von der Zeichnung her kommt. Die Farbe ist der Komposition untergeordnet. Beim Befreiungsschlag, wie er hier in manchen Werken nacherlebt werden kann, erringt plötzlich die Farbe eine Art Freiraum. Auch die Komposition ist unwichtig, im Vordergrund steht der Malakt, der sich frei und spontan gestaltet.

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Mit den Möglichkeiten, die sich der Künstler auf diese Weise erschloss, wendete er sich erneut dem Naturalismus zu. An diesem Punkt kommt eine weitere wichtige Inspiration zum Tragen, die der Künstler in den Werken der Folgezeit mit einbezieht. Es handelt sich hier um die naturnahen Arbeiten des britischen Künstlers Andy Goldworthy, der durch gezielte Eingriffe in die Natur aus Steinen, Eiszapfen und Zweigen Kunstwerke schafft, die in Gestalt von Fotografien der Ã–ffentlichkeit zugänglich sind, denn die Natur selbst hat diese Spuren menschlichen Kunstwollens in kürzester Zeit wieder ausgelöscht und vereinnahmt.

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In einigen seiner Bilder hält sich Walter genau an das Vorbild. Indem er aber die Farbe verwendet, gibt er diesem Arrangement etwas Bleibendes, das den Tag Ã¼berdauert. Die Formen, in die er seine Elemente integriert wirken brüchig, nicht für die Ewigkeit gemacht, sondern vergänglich. Er passt die Inszenierung, die bei Goldworthy reine Natur ist, auf sehr gekonnte Weise den Gesetzmäßigkeiten der Leinwand an und dies bedeutet zunächst, zu erkennen, dass die Leinwand eben kein

dreidimensionaler Raum, sondern eine plane Fläche ist. Diese Fläche löst der Künstler in seinem Malprozess geradezu auf. Er arbeitet gewissermaßen in zwei Richtungen: Nach Innen und nach Außen. Manche Arbeiten wie â€žInner Structur“ zum Beispiel sind so strukturiert, dass es scheint, als blicke der Betrachter unter die Leinwand, wo sich die eigentliche Malerei befindet. Die Leinwand ist nur eine Art Decke, die sich Ã¼ber eine teilweise verborgene technische Apparatur spannt, deren Funktion unbekannt ist. Der Künstler entwickelt hier ein imposantes Spiel mit Trompe l´eux Effekten, Augentäuschung nannte man das im Barock. Die Dinge werden lebendig, wirken echt und man neigt dazu, mit den Händen zu prüfen, ob man es hier tatsächlich noch mit Malerei zu tun hat.

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Ebenso wie es Bilder gibt, bei denen der eigentliche Gegenstand unter der Malfläche hervorscheint, gibt es andere, die so wirken, als läge ein Ast oder eine gelbes Kabel auf einem Malgrund auf, sei zufällig vergessen worden von einem nachlässigen Galeristen. Aber auch hier handelt es sich wieder um reine Malerei, auf deren Wirkungskraft uns der Künstler mit seinen Bildern aufmerksam macht.

Jedes einzelne Bild von Manfred Walter ist ein in sich geschlossenes Kunstwerk. Dies macht nicht zuletzt die in die Bemalung einbezogene

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Außenkante deutlich, die so der Komposition einen abgeschlossenen Charakter verleiht. Innerhalb des abgeschlossenen Kosmos gelten eigene Regeln, mit denen der Künstler spielt wie ein Komponist mit seinen Notenzeilen. DSC_0845Dennoch sind Walters Werke keineswegs isolierte Einzelstücke, verweisen auf den Kontext und erweisen sich bisweilen sogar als zu einer Werkgruppe zugehörig.

Von besonderer Bedeutung für die Weiterentwicklung im Schaffen des Künstlers sind die Arbeiten, wo beide Elemente zusammenfließen, wo die strenge, naturalistische Struktur auf den spontanen Farbauftrag trifft, eine Art Synthese, die sich wechselseitig verstärkt. Es gibt also viel zu entdecken, nicht nur in der Hauptausstellung, die im Zentrum steht, sondern auch in weiteren Räumen, wo es unter anderen Arbeiten des Dänen Vike Pedersen, Susan Sieg, Andrea Flaetgen und der Bildhauerin Christiane Messerschmidt zu sehen gibt.

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DSC_0774Auf die Skulpturen von Christiane Messerschmidt treffen sie u.a. gleich hier unten im Erdgeschoss der Galerie. Sie fügen sich organisch in den Kontext der Bilder Walters ein, denn auch sie bringen durch die Formgebung das Material zur Wirkung. Die Formgebung, wie bei der Arbeit hier in der Ecke aus Alabaster, ist Ã¤ußerst sparsam und betont eigentlich nur die Rundungen des Steins, der aus der Tiefe heraus zu leuchten scheint und so der Figur eine feine Aura verleiht. Andere Arbeiten, wie die Figur aus Cararamarmor leben durch die Ã–ffnung, durch die Auflösung der blockhaften Wirkung.

Besonders eindruckvoll fand ich bei meinem Rundgang die Arbeit mit dem Titel â€žPhönix“, die aus blauem Alabaster besteht und formal als eine gelungene Synthese zwischen Abstraktion und Figur erscheint.

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Die Bilder der Hamburgerin Susan Sieg stehen in der Tradition des Expressionismus. Besonders bei den Figurenbildern kann man das sehr gut ablesen. Es geht ihr offenbar darum, Szenen in Bewegung zu erfassen, Spontane, unerwartete Begegnungen zu inszenieren, bei denen sich die Konturen in Licht und Farbe auflösen. Diesen Eindruck befördert sie, indem sie leuchtende Pigmente beimischt, sodass sich Lichtstrahlen reflektieren und sich die Farbwirkungen je nach Einstrahlung verändern. Auch die Behandlung der Oberfläche, die wie mit dem Spachtel bearbeitet erscheint, verstärkt diesen Eindruck noch. 

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2._Home_again_in__morning_light (1)In den Werken des dänischen Künstlers Vike Pedersen klingen noch die Töne nach, die einst die Künstlergruppe COBRA angeschlagen hat, zu der auch Asgar Jorn gehörte. COBRA steht hier nicht für eine giftige Schlange, sondern für die Städte Copenhagen, Brüssel, Amsterdam, aus denen die Protagonisten der Gruppe kamen. Ihre Malweise war unkonventionell, farbenfroh, manchmal aggressiv, lebensbejahend und optimistisch. Ganz typisch für Dänemark ist das Bekenntnis zu den Lila-Violett-Tönen und auch die besondere Mischtechnik, der Siebdruck, der hier mit Zeichnung, Malerei und Collage kombiniert wird und so einen Eindruck von einer sehr lebendigen, unkonventionellen Szene vermittelt, eine besondere Ã„sthetik des Nordens, in der die Winternächte lang und die Wintertage manchmal etwas farblos sind.

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DSC_0766Zu den Dauergästen hier in der Galerie gehört Andrea Flaetgen. Ihr zentrales Motiv ist der Kopf, eigentlich die Augen, die den Betrachter magisch anziehen. Die Augen sind in ihren Bildern das Bindeglied zwischen Innen und Außen. Die Umgebung, in die sie ihre Köpfe einbindet, scheinen ihre Farbe aus diesem Inneren heraus zu erhalten, scheinen die Rhythmen der Seele aufzunehmen. In den neueren Arbeiten entdeckt man auch collagierte Elemente, die nach diesem Prinzip aufgenommen wurden, um diese Tendenz zu verstärken und für den Betrachter fühlbar zu machen.  

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Text: Dr. Helmut Orpel
Fotos: Dr. Claus-Peter Böhner-Fery & Gerold Maier

Die Ausstellung dauert bis zum 01. Oktober 2014

Öffnungszeiten: Mo-Fr 9-17 Uhr
sowie nach Vereinbarung

Ausstellungsraum:
Galerie Böhner im Bechtle IT-Systemhaus Mannheim,
Besselstrasse 20-22, D-68219 Mannheim

Kontakt:
Gerold Maier Marketing
G 7, 7, D-68159 Mannheim
fon/fax 0049 (0) 621 - 15 66 570
www.galerie-boehner.de
www.kunst-spektrum.de

 

Video von Manfred Walter: Genesis “Stoneline”