Das sichtbar Begriffliche am Werk: Die Münchner Retrospektive Rupprecht Geigers zeigt die ästhetische Optimierung eines Prinzips

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Rupprecht Geiger, geb. 1908, freier Architekt und Gründungsmitglied der Gruppe ZEN 49, vom 57sten Lebensjahr an Professor an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, ist mit unterbrochenen Teilnahmen an der documenta in den sechziger und siebziger Jahren und einigen Ehrenmitgliedschaften, der Repräsentation Deutschlands erst bei der XXV. Biennale in Sao Paulo 2002, eher ein solider denn ein sensationeller Künstler. Geigers Werke sind in zahlreichen Sammlungen vertreten und insbesondere am Spätwerk lässt sich in keiner Weise vorbeischauen. Die abstrakten Farbfelder sind übergroß-monumental, die Farben rasen vor Leuchtkraft, fast immer dient die Farbe Rot mit Pink oder Orange als nicht-komplementärer, aber begrenzender, kontrastierender Begleiter.

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Die Ausstellung „Rupprecht Geiger zum 100. Geburtstag“ im Lenbachhaus in München, die am 15.12.07 eröffnet und bis zum 30.03.2008 dort über mehrere Stockwerke zu sehen sein wird, gibt eine Übersicht, die zeigt, wie sich in der ungestörten und behüteten Sensationslosigkeit dieses Werkes mit erschreckender Systematik eine ästhetische Aufgabenstellung bis zur Entfaltung in einem vergleichsweise vollkommenen Spätwerk entwickeln konnte.

Vergleichsweise unbeirrt, obwohl mitunter spielerisch, entstehen aus den verschiedenfarbigen, konstruktivistisch anmutenden Anfängen von Geigers Malerei über Experimente mit quasi seriellen Farbkombinationen und räumlicher Farbwirkung in freien Architekturentwürfen, über spielerische Experimente mit Rottönen in Objet trouvés Collagen und großformatigere Op Art Bilder schließlich monumentale Farbfelder, meist zweiteilig in Rot und Begleitfarbe und in quasi reliefarchitektonischen Formen, mitunter wie eine Installation den räumlichen Gegebenheiten angepasst.

Beeindruckend in der Werkgeschichte, die durch die Komplettierung des Werkverzeichnisses der Gemälde 1942-2002 (65,- €) mit dem Werkverzeichnis der Druckgrafik einschließlich der Plakate (75,- €) und einem Ergänzungsband „Texte zu Rupprecht Geiger“ mit einem Fragment der Seriegrafie „Rot zu Gelb“ (2007) (22,- €) nunmehr vollständig wissenschaftlich erschlossen nachvollziehbar ist, ist vor allem der späte Beginn dessen, wofür Geiger in den Sammlungen steht:

Die Bilder in ungewöhnlichen Formaten und unterschiedlichen Geometrien in Rot entstehen Ende der achtziger und in den 90er Jahren, vier Großformate aus dem Jahr 2001 für die Biennale in Sao Paulo fassen diesen Werkkomplex zusammen. Der Künstler ist zu diesem Zeitpunkt bereits über 80 Jahre alt.

Das Gesamtwerk weist – soweit ein solches Urteil möglich ist – die Arbeiten aus dieser Zeit als das aus, worauf frühere Bilder abzielten, deren Nähe zu anderen und von anderen Künstlern beherrschten Stilrichtungen (wie Josef Albers, Ad Reinhardt, Yves Klein oder Bridget Riley) dadurch irrelevant wird, dass sie allesamt auf eine Art Lösung hinauslaufen.

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Von diesen Werken, die – zweifarbig und zweiteilig, aus unterschiedlichen Geometrien kombiniert und mit leichter Betonung des materialen Farbauftrages – also diesem Lösungsschema entsprechen, sind in der Ausstellung vier zu sehen, davon zwei quasi als Installationen in die Flurarchitektur des Hauses integriert, u.a. „Neues Rot für Gorbatschow“ von 1989 und eine Variante von „Pink contra Orange“.

Dieter Honisch, der Geigers Werk in besonderer Weise schätzt, verdeutlichte in seiner Werkbeschreibung 1988 zusammen diesen Versuch einer begriffsadäquaten Kunst „Das Oval oder auch die Scheibe im Rechteck sind zur eigentlichen Kompromissformel geworden, in der er „Exponent“, wie er es selbst einmal formulierte, und Exponat, Farbe und Bild so zu verbinden versteht, dass keines seine Eigenständigkeit preizugeben braucht.“

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Doch obwohl Honisch auch konstatiert: „Eigentümlicherweise hat das Werk von Geiger – wie das von Rothko auch – keine Entwicklung. Seine Kunst ist von Anfang an da.“, entwickelte Geiger dieses Schema von einem Oval im Rechteck eben noch einen Schritt weiter zu Kreisen oder Ovalen neben Vierecken, die die Unterscheidung zwischen Bild und Bildträger ganz aufgeben zu der schon auch bei Honisch angedeuteten „Bildskulptur“ (Honisch 1988, S. 32).

Ein anderer der großen Autoren zum Werk Geigers war Max Imdahl, der u.a. als Theoretiker des Bildbegriffs in der Kunstgeschichte bekannt wurde. Über Geigers Bild 703/75 schrieb er – ebenfalls 1988 -, indem er es auf ein „Wissbares der Form“ und das „Nursichtbare der Farbe“ reduzierte: „Die Farben attackieren die Strenge der geometrischen Form und die Gewissheit von diesen“. (36).

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Die theoretischen Abstraktionen und Abgrenzungen, die Geigers Werkentwicklung seit den späten vierziger Jahren begleiteten, lesen sich im Rahmen der Werkentwicklung tatsächlich nicht nur deskriptiv-nachzeichnend, sondern richtungsweisend. Geigers Werke der späten achtziger und neunziger Jahre sind nicht nur kleine (bzw. große) Vollkommenheiten dekorativer, abstrakter Malerei, sondern, als über Jahrzehnte in theoretischer und visueller Reflexion entwickelt, auch schöne Beweise des begrifflichen Charakters von Kunst.

Bericht und Fotos: Dr. Ulrike Ritter

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Rupprecht Geiger.

Retrospektive 15.12.07 – 30.03.08

Lenbachhaus München

Luisenstraße 33

80333 München

Tel. 0049 89 233320 00

Öffnungszeiten:

Di-So und Feiertage 10-18 Uhr