Das Gewissen der Künstler: Die amerikanische Land-Art Künstlerin Itty Neuhaus installiert im Stadthaus Ulm Zeitgeschichte

neuhaus1klHell und leicht hängen weiße Pappmaché-Reliefe im weißen und lichtdurchfluteten Obergeschoss des Ulmer Stadthauses. Erst bei näherer Betrachtung erkennt man, dass es sich um Abdrücke von Grabsteinen handelt. Im Hintergrund läuft ein Video der Künstlerin Itty Neuhaus, das diese beim Auflegen von Steinen auf einem jüdischen Friedhof zeigt. Mit den Kieseln auf den großen Grabsteinen signalisieren die Angehörigen entsprechend der jüdischen Tadition, dass sie die Verstorbenen nicht vergessen haben.

Die acht Videoinstallationen von Itty Neuhaus, die noch bis zum 27. Januar 2008 im Zentrum der Ulmer Altstadt im Stadthaus zu sehen sind, beschäftigen sich mit der Geschichte ihrer Familie, die 1936 in die USA emigrierte. Der Großvater der amerikanischen Künstlerin hatte die politische Lage nach der Wahl der Nationalsozialisten schnell erkannt und seine Emigration in die USA quasi sofort vorbereitet. Wegen einer Erkrankung der Mutter blieb die Familie noch bis 1936 in Deutschland und verlor dadurch ihr gesamtes Geldvermögen, das die Nazis bei der Emigration konfiszierten. Ein Bekannter der Familie, der Laupheimer Jugendstil-Künstler und Professor an der Kunsthochschule, Friedrich Adler, blieb trotz seiner Zwangspensionierung 1933 und wurde 1942 in Auschwitz ermordet.

Die zwei unterschiedlichen Verhaltensweisen haben etwas Repräsentatives: Der selbstständige Kinderarzt war nur an die Sprache, nicht aber an den Staat gebunden. Der Laupheimer Designer Adler hingegen war vor allem Professor, der eine bescheidene Beamtenpension zu verlieren hatte und sich in den USA trotz des dortigen New Deals unter der Regierung Roosevelt einer extrem ungewissen Zukunft gegenüber sah. In Deutschland konnte er, wenn auch nur noch sehr eingeschränkt, seine Tätigkeit beim Jüdischen Kulturbund Hamburg bis zu dessen Auflösung 1941 fortsetzen. Dennoch plante auch Adler ab 1938 zu emigrieren, was ihm jedoch nicht mehr gelang.

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In den Installationen von Itty Neuhaus wird Friedrich Adler nun über Erinnerungsobjekte wie ein von ihm entworfener Schreibtisch, Tischlampen oder auch die Grabsteine  zu einer Art Symbol für Vergänglichkeit, Gemeinschaftsverlust und Konflikt.

Eine der Installationen zu ihrer Emigrationsvorgeschichte kombiniert eine Nachbildung des imposanten Möbelstückes in Schwarz gehüllt und von schwarzen Tüchern umgeben mit einem gefilmten Gespräch mit ihrem Vater, der die USA im Alter von zehn Jahren erreichte. Im Film spricht er über seinen eigenen Tod, seine Nachlassverfügungen und andere Aspekte der Vorsorge aber auch über die verspielten Selbstbeschreibungen des Künstlers Friedrich Adler. In dieser Weise verdeutlicht Neuhaus, wie der Wunsch, Vergänglichkeit und den Tod vergessen zu lassen, durch kulturelle Artefakte und Prinzipien der Tradierung aufgefangen wird. Eine andere Videoinstallation beschäftigt sich wieder kritisch mit diesen Prinzipien selbst: ein gemalter Wolkenhimmel an einer Hausdecke wird mit Aufnahmen des wirklichen Himmels kontrastiert, den Blick aufnehmend, den man vom Boden eines zerbombten Hauses aus auf den offenen Himmel darüber hat.

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Sowohl der behäbige, schwarze Schreibtisch in seinem Repräsentationsdesign im Vergleich zum schweren Thema Tod als auch der kitschig-dunkeltönige Wolkenhimmel im Vergleich mit den lichten Naturaufnahmen kranken an der ästhetischen Diskrepanz zwischen dem Bemühen, der eigenen Kulturtradition selbst im schwierigen Alltag gerecht zu werden und die eigene Geschichte zu bewahren, und der scheinbaren Leichtigkeit der Naturästhetik. Der gefilmte Naturhimmel vor dem Fensterblick des Stadthauses, die flüchtigen Schatten der Designobjekte im Film und das schwarze Licht um den Schreibtisch herum überzeugen weit mehr als die dokumentarischen Artefakte, die sich mehr – vielleicht exemplarisch – als Belastung im Ästhetischen der Installation erweisen.

Itty Neuhaus, die selber in den USA lebt und mit dieser Ausstellung auch die Fähigkeit demonstriert, sich auf andere, neue Umgebungen einzustellen, entwickelt ein vielleicht für ihre Generation der nicht mehr unmittelbar Betroffenen typischen Nebentext über den Status und Stellenwert der Kunst. Die von der Künstlerin selbst benannten „Schuldgefühle“ gegenüber dem ermordeten Künstler lassen sich so nachvollziehen als mangelnde Fähigkeit der Generation ihres Vaters und Großvaters, auf kreatives Potenzial zu vertrauen, die Adlers Entscheidung für die Emigration hätte beschleunigen können.

Auch in der allerersten Installation „UnterMensch“, die eigentlich thematisch in der Ausstellung verblüfft, lässt sich eine solche Reflexion auf das Ansehen von Repräsentation und Darstellungsformen selbst erkennen. Eine medizinische Frauenfigur aus der Brockhaus-Ausgabe von 1933, die die weibliche Gebärmutter zu einer Art Schrankfach verfälscht, dient mit weiteren Interview-Filmmaterialien als Hinweis auf den Beruf des Kinderarztes, den Neuhaus' Vater und Großvater ausübten. Die prüde Pseudoaufklärung der Großvater-Generation gehört zu dem Anekdotenschatz des Vaters, insbesondere seine Erinnerungen an den eigenen Vater, so wie sie Neuhaus überliefert wurden. Doch welche Rolle spielt sie im Zusammenhang der Ausstellung? Nur bemüht kann die Anordnung von „Gebärklappe“ und dem darunter montierten Monitor der Filmprojektion den deklassierenden Ausdruck „UnterMensch“ erklären.

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Im Interview- und Kommentartext der Künstlerin unausgesprochen bleibt die geschlechtsspezifische Komponente, die Reduktion von Frauen auf Gebärmaschinen – zynischerweise für die Kriegsführung – und die Projektionen von Schwäche und Unselbstständigkeit aufgrund des Geschlechts. So ungesagt wie in diesem Werk selbst, schwingt es als persönlicher Familienkonflikt mit, wenn die Künstlerin Neuhaus zwei selbstständige Ärzte mit zwei Künstlern vergleicht: mit Adler und sich, die sich im „UnterMensch“ - Video auch als verheiratete Frau vorstellt -, die beide aufgrund ihrer spezifischen Tätigkeit und Persönlichkeit Angriffen und Veränderungen stärker ausgesetzt sind als der Vater und Großvater als selbstständige Ärzte. Zugleich zeigt sie mit ihrer Ausstellung, dass sie als Künstlerin besser in der Lage ist als ihr Vater, dem kulturellen Anspruch auf Bewahrung der eigenen Identität und Tradition Rechnung zu tragen, und erweist dadurch indirekt auch Adler eine Referenz. 

Der dokumentarische und persönliche Anspruch der Installationen bindet diese nicht nur an historische Ereignisse sondern auch an die innerfamiliären, eher anekdotische Überlieferungstexte. Diese prägen auch die Barbara-Brunnen-Installation, die wieder Naturelemente wie Licht und Wasser mit der Nachbildung einer eher ästhetisch unbedeutenden Brunnenfigur und Anekdoten aus der Familie verknüpft. Die Anekdoten von einer verhinderten Liebe der

Tante und einer abenteuerlichen Flucht über die Donau erfüllen zwar den Anspruch, unzähligen anderen Familienanekdoten aus der Zeit des zweiten Weltkrieges zu gleichen und insofern repräsentativ für die Zeitgeschichte zu sein.

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Sie sind auch Münzen auf dem Schuldkonto des Nationalsozialismus. Doch eigentlich werfen sie die Frage auf, warum gerade diese Anekdoten, zumal in keiner Weise tiefergehend analysiert, soviel Raum verdienen. Die Antwort wird eben durch die Referenz an Adler und den unausgesprochenen Konflikt zwischen dem Beruf des Vaters und dem der Tochter mitgeliefert:  Das gesamte Gefüge der Installationen veranschaulicht gerade durch den fast ungebrochenen, respektvollen Einbezug der individuellen Erinnerungen, wie fähig Kunst ist, kulturelle Moralität  auch kritisch ins Bewusstsein zu bringen und zu erzeugen.

 

Bericht und Fotos: Dr. Ulrike Ritter

 

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Ausstellung „Itty Neuhaus. Home for Haus“

09. September 2007 bis 27. Januar 2008

Stadthaus Ulm

Münsterplatz 50

D-89073 Ulm

Öffnungszeiten: 09.00 bis 18.00 Uhr

donnerstags bis 20.00 Uhr

sonn- und feiertags 11 bis 18.00 Uhr (außer 24. und 25.12.)

jeden ersten Freitag im Montag bis 24 Uhr

Führungen auf Anfrage: stadthaus@ulm.de

Tel. 0731 161 77 00