Bildende Kunst als Spiegelbild der Zeit: Neue Arbeiten bei Böhner im Signal Iduna Tower in Mannheim 

Die bildende Kunst - gleich wie individuell sie sich immer gestalten mag - ist zu einem gewissen Grad immer auch ein Spiegelbild der Zeit, in der sie entsteht. Mit dieser Aussage möchte ich natürlich nicht die individuelle Mannigfaltigkeit in der heutigen Kunst, die keine Avantgarde mehr kennt,

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ignorieren. Aber gerade die spannende Vielfalt innerhalb der heutigen Kunstlandschaft zeigt auf, wie facettenreich dieser Zeitgeist, der hier seinen Niederschlag findet, im Grunde genommen doch ist. 

Kein Künstler kann sich, wie sehr er sich danach auch sehnen mag, seiner Gegenwart entziehen, denn er setzt sich durch seine Werke auch immer ein Stück weit mit seiner Gegenwart auseinander. Wie diese Auseinandersetzung geschieht und welche Spuren dieser Prozess in Bildern oder Skulpturen hinterlässt, gehört mit zu dem Spannendsten bei den Gesprächen über Kunst. Jenes vielschichtige, auf untergründigen Ebenen verschlungene Verhältnis vom Künstler zu seiner Zeit gestaltet sich auf geheimnisvolle Art und Weise und ist dem Handelnden im

Augenblick der Ausführung in den seltensten Fällen bewusst. Was im Allgemeinen gilt, gilt auch im Besonderen für die Ausstellung, über die zu sprechen ich heute das Vergnügen habe.. 

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Künstlerisches Reflektieren über die Zeit, in der man lebt, findet nicht nur thematisch statt, sondern vor allem durch die ästhetischen Mittel, die hierbei zur Anwendung kommen

Auseinandersetzungen mit der Zeit, in der man lebt, bedürfen nicht immer der konkreten Ausformulierung, wie das beispielsweise bei den realistischen Bildern von Christian Behring der Fall ist. Um mit dieser Form des Einbezuges zu beginnen: Sie geschieht auf beobachtende, erzählerische Art und Weise. Behrings Malerei ist eine großstädtische Malerei, wie sie im gewissen Sinne auch dem aktuellen Trend entspricht, der zum Beispiel durch die “Leipziger Schule” gesetzt wird - ein Realismus, der in keiner Richtung urteilt oder moralisiert. Er fokussiert bestimmte Situationen und Menschen unserer Zeit, ohne Situationen zu idealisieren und zu beschönigen. Alltagssituationen würde man meinen, wie sie tagtäglich an uns vorbeirauschen und wie sie selten von uns wahrgenommen und festgehalten werden. Indem Behring diese Situationen als kunstwürdig erklärt, macht er sie zu etwas Besonderem und hebt sie aus ihrer Alltäglichkeit heraus.  

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der Megastadt Berlin, die sie treibt. Unverkennbar ist bei ihren Arbeiten das am klassischen Expressionismus geschulte Auge.

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Für die ebenfalls aus Berlin stammende Künstlerin Dorothea Emmrich, deren Arbeiten in der unteren Etage zu sehen sind, ist es ebenfalls die FaszinationStadt, konkret die von

Um den Menschen und um den Realismus geht es bei den Arbeiten von Barbara Heyder. Sie zeigt die Mimik und wie die Mimik sich in den Gesichtszügen von Menschen spiegelt und sie fördert so erstaunliche Prototypen zu Tage.  

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Der Mensch erscheint in den Arbeiten von Ute A. Thiess eher als Silhouetten, die stelengleich ihre Bilder bevölkern.

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Bewegte Formen greift die aus Frankreich kommende Malerin Corinne Medina Saludo auf, die sie uns in Gestalt von Friesen offeriert, die in der unteren Etage zu sehen sind. 

Die Malerin Hildegard Steinbach entdeckt ihre Themen oft auf Reisen. Ganz charakteristisch sind hier die Venedigbilder in dieser Ausstellung, die sie in Sepiatönen gemalt in ein besonderes Licht der fernen Zeiten taucht. Venedig zeigt hier keine Spuren der Gegenwart, ist idealisiert und typisiert, aber gerade hierin liegt der besondere Zug, der eine Sehnsucht ausdrückt, die der moderne Mensch empfindet. 

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Auch bei Gisela Polzin liegt der Akzent auf der impressionistischen Malerei. Dabei geht es ihr nicht um das offensichtlich zu Tage Tretende, sondern um die Schönheit, die im Verborgenen liegt. Das Verborgene findet Carmen Wagner in der grenzgängerischen Richtung der surrealistischen Malerei und Britta F. Johansson sieht die magische Wirkung in den geheimnisvollen Strukturen des Mikrokosmos. 

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Vor starkfarbenem Hintergrund - rein unter formalen Gesichtspunkten gesehen - bilden die Arbeiten von Heidi Steinhauer den Gegenpol zu den bisher aufgezählten an mehr oder weniger an der Realität orientierten Malweise. Heidi Steinhauer reduziert die Bildwirklichkeit ganz. In ihrem Zyklus “Wortspiele”, der hier ausgestellt ist, wirkt vor allem der Malgrund, der vielschichtig angelegt ist, sodass hier eine unbegrenzt erscheinende Tiefe entsteht. Von diesem Untergrund geht eine sehr ruhige, harmonische Wirkung aus, die aber durch einen kalligraphischen Duktus, der am Rande jener Untergründe mit raschem Schwung aufgetragen wurde, gestört wird. Diese Verstörung ist durchaus beabsichtigt und wird durch

den Titel noch unterstrichen. Die Unleserlichkeit der Worte ist hier Stilmittel und Teil des Spiels - das Zusammenspiel zwischen Farbe und rudimentären Duktus lädt zu Deutungsversuchen ein, die ins Leere führen, weil vieles offen bleibt und letztendlich dem Betrachter überlassen, der als Bestandteil des Bildganzen irgendwie einkalkuliert ist.

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Um Zeichen - Schriftzeichen geht es auch bei Martina Jäger. Ihre Bilder sind zeichenhaft angelegt und bestehen aus dem für gewöhnlichen Mitteleuropäer fremde Zeichen, die man bestenfalls als eine fernöstliche Schrift deuten kann. In einigen Bildern setzt sich die Künstlerin - wie die Überlagerungen unterschiedlicher Zeichensysteme suggerieren - auch ganz generell mit der Entwicklung von Schriftzeichen auseinander. Dabei geht der Weg von dem konkret Anschaulichen in der Zeichenschrift hin zu den abstrakten Formen des Schriftzeichens, das dessen zeichnerische Konkretion sich bestenfalls noch irgendwie erahnen lässt. Diese beiden Künstler stehen mit ihren so aufgebauten Werken in der heutigen Kunstlandschaft nicht allein. Aus anderen Ausstellungen an anderen Orten, aber auch aus Ausstellungen, die vorher in diesem Hause hier stattfanden, kennen wir die Tendenz in der heutigen Kunst, gerade das Verhältnis zwischen Wort und Bild, zwischen Schrift und Aussage durch die Kunst zu problematisieren , was wiederum ein Beleg für die Ausgangsthese ist, dass der Zeitgeist auf mannigfaltige Art und Weise in der zeitgenössischen Kunst seinen Niederschlag findet.    

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Eine ebenso wichtige Tendenz im aktuellen Kunstgeschehen ist das Bestreben, Bildformate zu sprengen und an sich kunstfremde Materialen in den Bildfindungsprozess mit ein zu beziehen. Auf sehr gekonnte Art und Weise liefert der Schweizer Künstler Hubert Harry Schwager Belege, was allein durch den geschickten Umgang mit dem Werkstoff Papier möglich ist. Durch die gezielte Raffung und Faltung

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dieses Materials suggeriert er Schwebezustände, die weit über den eigentlichen Bildrand hinaus, weit in den Raum hinein wirken. Die ungemein vielseitige Verwendbarkeit von Papier ist ein Thema bei den Arbeiten von Karin Frei-Noser, die ebenfalls aus der Schweiz stammt. Unter ihren hier ausgestellten Werken sprechen mich die kleinen Skulpturen besonders an, die in ihrer Leichtigkeit ebenfalls Schwebezustände suggerieren und uns die Leichtigkeit des Seins ins Gedächtnis rufen, das gerade in schwierigen Zeiten so wichtig ist. 

Christel Krones, die im Hause Böhner ja keine Unbekannte ist, erreicht diese Schwebezustände, die in ihren Bildern zu wirken scheinen, durch das uralte Verfahren der Enkaustik. Bei dieser Technik, bei der das Wachs das Bindemittel der Farbpigmente ist, wirkt sowohl die Leuchtkraft als auch die Tiefschichtigkeit, die dem Bild eine Tiefe gibt. Auch hier fällt das Abweichen vom klassischen Bildformat ins Auge, das die Bereitschaft unterstreicht, mit vorgefundenen Formen zu brechen und neue Wege zu suchen. 

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Im Geist des Informell entfalten sich die farblich stark wirkenden Bilder von Lucie Tolksdorf. Die Oberflächen dieser Bilder sprechen nicht nur den Sehsinn an, sondern auch das Tastgefühl. Durch Beimischungen von Materialien verleiht sie der Farbe zusätzliche Materialität, die auf den Betrachter wirkt. Genau so verhält es sich auch mit den spirituell inspirierten Gemälden der Künstlerin Britta F. Johansson, deren Arbeiten auch sehr haptisch daher kommen, und die mit ihren originellen Formaten erstmalig in Mannheim vertreten ist. Christiane Bisplinghoff wirkt dagegen mit zarten Farben, die ihrer Malerei einen sphärischen Charakter verleihen. Lou Nüssli Weiss zeichnet sich

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ebenfalls durch einen besonders intensiven Farbauftrag aus, dessen Wirkung sie durch den Duktus, der stellenweise „zart-krakelhaft“ aufgetragen erscheint, intensiviert. Sowohl Lucie Tolksdorf als auch Christiane Bisplinghoff wie auch Lou Nüssli Weiss lassen ihrer Fantasie freien Lauf und fertigen ihre Bilder spontan aus dem Inneren heraus „wie von Geisterhand geführt“. Dabei entstehen Bildwelten, die uns magisch für sich einnehmen

und unsere Fantasie immer wieder aufs Neue herausfordern.

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Desweiteren werden noch ausgewählte Arbeiten der Stammkünstler Thomas Klein, Gerold Maier und Matthias Neuthinger gezeigt.

 

Text: Peter Burgas & Dr. Helmut Orpel

Fotos: Gerold Maier 

Die Ausstellung dauert bis zum 31. Januar 2009

Öffnungszeiten: Mo-Fr. 9.00-17.00 Uhr

sowie nach telefonischer Absprache

Signal Iduna Business Tower

Prof. Homburg & Partner

J&M Consulting AG * Willy-Brandt-Platz 5 & 6

Galerie Böhner * G 7/7

D-68159 Mannheim * fon/fax 0049 (0) 621/1566570

www.galerie-boehner.de