„Ich zeichne, ich male, ich mache weiter!“ Diese Aussage von Christa Schmid-Ehrlinger verweist darauf, dass sich die Künstlerin auf einem Weg befindet, den sie weiter gehen will. Mit einem seiner Urworte mahnte einst der griechische Philosoph Heraklit: „ Denkt an den, dem sich verbirgt, wohin der Weg führt!“ Wege, die man wie Christa Schmid-Ehrlinger beim Malen und Zeichnen beschreitet, führen immer zum Ziel, wenn auch manchmal auf Umwegen, wobei sie im Hinblick auf ihr gesamtes Werkschaffen aber niemals sozusagen den Faden verloren hat, der dann in den Jahren um 2004 bis 2007 in den gemalten und farbtragenden „Fadenzeichnungen“ auf Leinwand zur prägenden Bildgestalt wurde.
Die Wege dieser aufgedruckten Fäden sind von der Betrachtung her nicht entwirrbar, aber auch hier weist Heraklit einen Weg: „ Der Schraube Weg gerade und gewunden, einer ist er und derselbe. Ein Weg hinauf und hinab ist einer und derselbe.“ Christa Schmid-Ehrlinger spricht in Hinblick auf ihre bildschaffende Gestaltungsweise davon, dass es zuweilen notwendig ist: „Umwege über sich selbst zu nehmen!“ Auf solchen Wegen finden sich überall jedoch Zusammenhänge, Verbindungen und fließende Übergänge. So besteht eine offensichtliche Verbindung der Fadenbilder mit der grundsätzlichen Orientierung von Christa Schmid-Ehrlinger am textilen Material, wobei die Leinwand selbst, aber auch die Metzgerschürzenreste ihres Vaters Ende der neunziger Jahre Anlass boten zu großformatigen, mit Weiß übermalten Collagen auf der Leinwand.
Aus dem textilen Gewebe heraus hat sich damals für Christa Schmid-Ehrlinger eine Bildvorstellung entwickelt, wobei das Gewebe von ihr aufgelöst und aufgewickelt wurde und damit sich auf neue Weise zu einem Objekt gezwirbelter und eingeflochtener Leinwand aus der Fläche heraus entwickeln konnte. Die Verbindung des Fadens und seie Anbindung an die Linie mit ihren weghaften Verläufen führten auch zur Zeichnung. Die Zeichnung setzt in gewisser Hinsicht Zeichen oder generiert Zeichen, wie dieses Christa Schmid- Ehrlinger in den im fortlaufenden Duktus mit Tusche auf Papier hingeschriebenen Schriftbildern und Zeichenreihen eindrucksvoll demonstriert. Die feinen Linien und und Formbündelgespinste bekommen jeweils einen Akzent durch ein flächiges, tiefschwarzes darübergelegtes Formkürzel, woraus sich eine zweite Anschauungsebene auftut oder im Fluss sich ereignet.
Zum Wesen eines Bildes und besonders der abstrakten gehört das Verbinden, aber auch das Verschieben der Formen, Farben und Linien. Jedes von ihr auf diese Weise geschaffene Werk fasst sowohl in den Farb- und Formrhythmen, den Fadenbildern als auch in ihren Objekten und Drahtrelief-Knotenbilder jeweils als ein Ganzes eine Welt in sich zusammen. (Auszug aus Ernst Hövelborn , Werkschaffen Christa Schmid-Ehrlinger 2016).
Durch Einzel- und Gruppenausstellungen kennen wir ihre Vernetzungen und Verknüpfungen sowohl im zeichnerischen Werk als auch im Umgang mit textilen und anderen Materialien. Ihre zwei-und dreidimensionalen Gefüge sind abstrakt, gegenstandslos – ebenso das in jüngerer Zeit entstehende malerische Werk.
Auch wissen wir: Die Künstlerin ist unterwegs – „Suchen“, „Fragen“, „Neugierig sein“ auf das, was kommt ist geradezu ihr Konzept. Eine Station auf diesem Weg ist die Serie „Üppig“ – die der aktuellen Ausstellung den Namen verlieh.
Die älteren Zeichnungen zeigen mal kurvig verlaufende Linien, die von der Bewegung aus dem Körper heraus zeugen. Wir sehen geradezu wie die Hand mit dem Pinsel über das Papier geführt wird, die Farbe fließt und an manchen Punkten tropft. Der Zufall spielt mit, aber er wird gelenkt, so dass Wiederholung zum System wird. Die Bandbreite reicht hier von mehrschichtig übereinandergelegten zarten Mustern bis hin zu dynamisch ausgezogenen untereinander vernetzten großen Formen. Sie lassen schon einen Drang zur Farbigkeit und expressivem Duktus spüren. Zugleich werden sie durch eine rasterartige serielle Anordnung strukturiert. Die quadratischen Drahtbilder künden ebenfalls vom System der Wiederholung, von einem Ordnungsprinzip, das geradezu minimalistisch anmutet: filigrane Drahtspiralen, Drahtschlaufen oder auch mal kaum gebogenen kurze Drahtstücke sind in strenger Reihung angeordnet. Jedes Element ist eine individuelle Skulptur, zeugt von “Handarbeit“ und geht doch in der Serie auf, wird zum Teil des Ganzen.
…. Vielleicht brauchte diese meditative „Handarbeit“, die zeitintensiv ist und Geduld und höchste Sorgfalt erfordert, einen gestischen, expressiven Gegenpol? Vielleicht provozierte die Begrenzung auf die Farbe „Edelstahl-Grau“ und die Nichtfarbe „Weiß“ das Bedürfnis nach üppiger Buntheit?
Große quadratische Formate sind in einem lebhaften All-Over mit duftigen Farben bemalt worden. Sie werden ergänzt durch graue Partien und schwarze grafische Einsprengsel. Die „Musterung“ ist nicht streng und dennoch ist das künstlerische Tun „gerichtet“, die Farben pulsieren in einem bestimmten Rhythmus über die Leinwand. Fleckenformen und Linienbündel verwirbeln miteinander.
Die Künstlerin nimmt sich hier die Freiheit, über die Stränge zu schlagen, das reduzierte, gleichmäßige Tun, das sie sich selber in anderen Werkgruppen auferlegt, zu verlassen. Auch hier bleibt in Teilen der Arbeitsprozess sichtbar und unterstützt eine neue Art von Sinnlichkeit in ihrem Werk.
…. Ich möchte auf die konzeptionellen Überlegungen der Künstlerin hinweisen; ihr Schaffen ist zum einen am Material orientiert und wird geleitet von dem , was technisch möglich ist – auch wenn es nicht sogleich auf der Hand liegt. Zum anderen reflektiert sie dieses Schaffen und findet zu einer Ästhetik, die das Nachdenken über Kunst wiederspiegelt: Was ist ein Bild? Nur Fläche oder auch Raum? Was sagt ein Material aus? Wie kann seine Aussage mittels der künstlerisch technischen Bearbeitung gesteigert oder konterkariert werden? Diese Fragen verlangen keine abschließenden Antworten. Im Gegenteil; das, was nicht ausgesprochen werden kann, das was zwischen den Zeilen steht, macht Kunst ja aus! (Claudia Scheller-Schach, M.A., Kunsthistorikerin, Auszug aus der Ausstellungseröffnungsrede „Üppig“, Gaildorf 2016).
Persönlich formuliert die Künstlerin Christa Schmid-Ehrlinger über Ihre Kunst unter dem Oberbegriff „Suche“: „Suche“ ist für mich ein entscheidender Begriff für künstlerisches Arbeiten. Die Suche nach Vernetzungen und Verknüpfungen von Linien und Formen miteinander und untereinander bildet den Hauptfokus meiner Arbeit. In diesem Tun erfahre ich auf symbolische Weise Lebens- und Sinnzusammenhänge. Durch Verknüpfungen und Vernetzungen geschieht Transformation. „Etwas“ wird in ein anderes „Etwas“ umgeformt. Dabei spielt das Material wie auch das Handwerkszeug eine wichtige Rolle. Lange Zeit waren „Fäden“ mein Handwerkszeug und zugleich Leitlinie für die Entstehung meiner Bilder. Mit dem „Stift“ hingegen verinnerlichte und variierte ich immer wieder skripturale Zeichen und Kürzel, die nun wiederum Grundlage meiner aktuellen Malerei sind. Ich transformiere diese Zeichen und Kürzel in neue spezifische farbräumliche größere Formen mit gestischem Rhythmus. „Die Kunst ist eine der Belohnungen, die uns zufallen, wenn wir denken, indem wir sehen.“ (Rudolf Arnheim ).
Christa Schmid-Ehrlinger, geboren in Backnang/Baden Württemberg, Studium der Germanistik und Romanistik in Tübingen, Aix en Provence, München. Erste Auseinandersetzung mit Grundlagen der Malerei bei Prof. Martin Schmid, Tübingen, ab 1994 bildtechnische Ausbildung bei Prof. Hans Schlegel, Stuttgart, Weiterbildung an der Europäischen Kunstakademie Trier und langjährige künstlerische Fortbildung bei Prof. Rolf Thiele ( Hochschule für Künste Bremen) an der Bundesakademie Wolfenbüttel, Mitglied im BBK (VBKW Rems Murr) und Hohenloher Kunstverein, bis 2017 Mitglied der Gruppe WO02, international vertreten durch LDXArtodrome Gallery. Seit 2013 nach langer eigenständiger Entwicklung auf dem Weg in die Kunstöffentlichkeit. Lebt und arbeitet in Schwäbisch Hall/ baden Württemberg.